Offener Brief an die Hamburger Schulbehörde – Schulweg unzumutbar
Sehr geehrte Damen und Herren der Hamburger Schulbehörde!
Kurze Beine, kurze Wege – das ist das Motto, wenn es in Hamburg um die Zuweisung eines Grundschulplatzes geht. Unser Kind wurde von unserer Wunschschule abgelehnt und soll stattdessen an einer Schule eingeschult werden, die für seine kurzen Beine unzumutbar weit entfernt ist. Unsere Familie erlebt damit eine Zerreißprobe.
Das hat uns jetzt gerade noch gefehlt: Familienkrise in der Corona-Krise
Es ist Corona-Zeit. Die Welt ist in einer für uns noch nie dagewesenen Krise, die zugehörige Krisenstimmung macht auch vor unserer Familie nicht halt. Wir Eltern von vier Kindern zwischen 15 und 6 Jahren sitzen zu Sechst plus Katze seit Wochen in einer Wohnung mitten in Hamburg fest, deren 67 Quadratmeter und drei-wie-zwei Räume dem Einzelnen kaum Platz für eine Minute Rückzug lassen. Doch wir meistern das Leben in der sozialen Distanz zur Welt. Noch. Es geht uns verglichen mit vielen Menschen auf diesem Planeten, hier mitten in Hamburg, in Deutschland, ja auch recht gut. Noch.
Als Freie Journalistin arbeite ich seit mehr als 15 Jahren Vollzeit im Home-Office. Mein Platz in der Sofa-Ecke ist mir wie vor Corona gewiss, ebenso ein Großteil meiner Aufträge. Noch. Mein Mann fährt normalerweise Essen zu Kitas und Schulen – seit diese wegen Corona geschlossen sind, ist er zuhause und soll Kurzarbeitergeld bekommen und zur Schulöffnung wieder arbeiten können. Das zumindest ist der Plan. Noch.
Während ich am Computer sitze und schreibe, kümmert sich mein Mann um sämtliche Einkäufe und Vieles im Haushalt. Außerdem ist er derjenige, der uns alle täglich über Stunden trainiert – schließlich darf die Bewegung in Zeiten wie diesen nicht zu kurz kommen. 12.000 Schritte sollen unsere drei Großen jeweils täglich machen, empfiehlt der Sportlehrer des Gymnasiums der Kinder. Die werden derzeit auf dem Laufband gelaufen, zum Glück haben wir eins. Homeschooling läuft dank unserer fünf nahezu ununterbrochen laufender Computer und des Druckers off- wie online. Die Stromrechnung steigt damit enorm. Warum wir das hier schildern? Weil wir zeigen möchten, dass wir als Familie uns dem, was die Corona-Krise uns derzeit an Alltag aufbürdet, stellen. Wir Eltern geben derzeit alles, um unsere Kinder gesund, beim Lernen (Home-Schooling) und bei Laune (Home-Living) zu halten. Wir versuchen, sie zum Lachen zu bringen und trösten sie, wenn ihnen (wie uns Erwachsenen) angesichts der täglich neuen Alltäglichkeiten angst und bange wird.
Und das ist von Tag zu Tag schwieriger für uns Eltern: Der ruhende Fels in der Brandung zu sein. Zuversicht und Hoffnung auf das Morgen zu spenden.
Besonders schwer ist diese Aufgabe bei dem Kind von uns, das an einer Depression leidet (ich mache das hier mit der Zustimmung des Kindes öffentlich, danke dir dafür, Kind!). Auch wenn Depressionen in unzähligen Facetten auftreten, wer selbst ein depressives Kind hat, weiß, dass die Krankheit immer wie ein schwarzer Wolf in der Familie lebt, der mal ruht, mal heult, mal zahm und mal fuchsteufelswild ist. Unser Kind mit Depression braucht eine enge Betreuung von uns Eltern, es braucht uns als Handlauf, als Schutzschirm, als Sprachrohr und als Boxsack.
Die Depression eines Kindes belastet immer die ganze Familie. Wir haben den schwarzen Wolf in unserer Familie akzeptiert und lernen nach und nach, mit ihm zu leben, mit ihm umzugehen. Er weilt als siebtes Familienmitglied unter uns. Wir haben unser Familienleben entsprechend umgestellt und umorganisiert. Das war nicht einfach. Und manchmal hängt alles Wohl an einem seidenen Faden. Wir sind diesbezüglich aber auf einem guten Weg. Auch dank intensiver fachmedizinischer Betreuung des Kindes. Auch in schlimmen Tagen wie denen zu Corona-Zeiten.
Diesen Faden überspannen Sie leider gerade –
Sehr geehrte Hamburger Schulbehörde!
Denn letzte Woche traf ein Brief bei uns ein. Absender war unsere Grundschule. Wir schreiben “unsere”, weil unsere drei großen Kinder dort ihre ersten Schuljahre inklusive Vorschule verbrachten und Nr. 4 dort gerade die Vorschule besucht.
Wir sind mittlerweile seit zehn Kalenderjahren und 16 Schulkindjahren an dieser Schule – ohne Unterbrechung! Wir haben die Renovierung des alten Schulgebäudes, die Auslagerung des Schulbetriebs über zwei Jahre in ein Ausweichgebäude und die Neugestaltung des Schulkonzeptes mitgetragen. Mehr noch: Wir stehen überzeugt dahinter. Wir sind ein Teil des Windes, der die Segel unserer Schule füllt.
Wir haben uns als Eltern immer wieder mit Begeisterung engagiert und bis auf einen (Nr. 4 war gerade geboren und ich litt an Stilldemenz) jeden Elternabend unserer Grundschule besucht. Wir haben in der Schule gestalterisch mitgearbeitet, indem wir sogar Unterricht dort abgehalten und auch unsere Katze in den Sachunterricht geschleppt haben, und mitgefeiert. Unsere Nr. 4 war schon im Bauch mit in der Schule und kennt dort jeden Stein. Die Schulleitung und die LehrerInnen an unserer Grundschule kennen unsere Familie aus direktem Erleben sehr gut und freuen sich auf unsere Nr. 4 – das sagen die LehrerInnen dem Kind immer wieder, wenn sie ihm auf dem Schulflur, dem Schulhof oder bei Vertretungsstunden in der Vorschule begegnen. Es wurde nie ein Zweifel daran erweckt, dass das Kind nicht auf dieser Grundschule bleiben würde.
Deshalb haben wir bei der Anmeldung unserer Nr. 4 zur Grundschule diese und nur diese Schule, also auch keine andere als Alternative, angegeben. Unser Vorschulkind betrachtet diese Schule als seine. Es liebt diese Schule und freut sich jeden Morgen, dorthin zu gehen – ein Segen für uns Eltern: Wer selber Kinder hat, weiß, was wir meinen, wenn es bei einem Kind darum geht, mit Freude auf die Schule aufzustehen, sich mit Freude auf die Schule zu waschen, anzuziehen, zu frühstücken, die Zähne zu putzen, den Ranzen zu packen und schließlich mit Freude los zur Schule zu gehen! Und dabei dei Schulhymne zu trällern: “Schule in der K…!”
Kein Platz für Nr. 4 auf unserer Grundschule
Doch nun schrieb uns unsere Grundschule, dass sie unsere Nr. 4 nicht aufnehmen könne, “weil die Zahl der Anmeldungen deren Aufnahmemöglichkeiten übersteigt”.
KATASTROPHENALARM!
Von Amts wegen “altersangemessener Schulweg” ist unserem Kind und unserer Familie nicht zuzumuten
Unsere Nr. 4 soll nun auf eine Schule gehen, die “in der Nähe” unseres Wohnortes liege, “so dass ein altersangemessener Schulweg gewährleistet” sei.
WIE BITTE?
Die Nr. 4 zugewiesene Schule liegt in einem Viertel, das keiner von uns je betreten hat. Es wäre demnach komplett neues Pflaster für unsere Familie. Wir haben Null Bezug zu diesem Viertel. Wir wussten bis zu Ihrem Bescheid nicht einmal, dass es diese Schule dort gibt. Nun gut, das ließe sich mit Spaziergängen vielleicht sogar ändern.
Unabänderlich dagegen ist jedoch das:
Der Weg zur zugewiesenen Schule ist für die kurzen Beine unseres Kindes unzumutbar.
Laut dem Onlinerechner, den Sie als Schulbehörde unseres Wissens nach zur Ermittlung der Schulwege benutzen und der auch öffentlich zugänglich ist, ist diese Schule von unserer Haustür 1.850 Meter entfernt. Zum Vergleich: Unsere Wunschschule liegt in 765 Metern Entfernung.
Wie von Ihnen gewünscht wichtig nehmen wir den Hinweis, den Sie als Hamburger Schulbehörde uns Eltern online geben:
“Wichtiger Hinweis! Wenn Sie einen Schulweg ermittelt haben, der nach Kartendarstellung der kürzeste ist, überprüfen Sie bitte die Strecke auf Sicherheit des Schulweges. Hierzu gehören insbesondere Ampelsicherungen und Unsicherheiten im Wegverlauf. Diese Merkmale können bei der Schulwegermittlung nicht berücksichtigt werden.”
Genau da liegt aber das Problem! Der Schulweg, den Sie als Schulbehörde laut Schulwegermittler unserer Nr. 4 zumuten, ist im wirklichen Leben absolut unzumutbar,
- zum einen der Länge der Strecke wegen
- und zum anderen der Sicherheit wegen!
Wir erklären Ihnen das gerne:
- Unser Kind ist sechs Jahre alt. Seine Schrittlänge liegt ungefähr bei 0,4 bis 0,5 Metern. Wichtig erscheint uns der Hinweis: Je müder ein Kind wird, desto kürzer werden die Schritte. Unser Kind kann die Strecke von 1.850 Metern mit seinen kurzen Beinen nicht jeden Morgen zu Fuß zurücklegen. Wir reden hier von rund 4.000 Kinderschritten pro Strecke! Ihr Online-Rechner ließ zudem leider unberücksichtigt, dass die Strecke durchgängig bergauf führt. Da wird jeder Schritt doppelt schwer. Weder bei Sonnenschein noch bei Hamburger Schmuddelwetter ist das einem sechsjährigen Kind allmorgendlich zuzumuten. Es würde IMMER erschöpft in der Schule ankommen. Das wäre aus unserer Elternsicht keine günstige Voraussetzung, um mit Erfolg, Freude und Neugier zu lernen.
- Der von Ihnen als Schulbehörde als zumutbar beurteilte Schulweg führt durch ein unserem Kind und unserer Familie komplett unbekanntes Stadtviertel. Die Strecke ist eine mit unzähligen Ampeln und verkehrsreichen, teil uneinsichtigen Straßen, darunter Wohn- und Einkaufsstraßen, deren Verkehr tags wie nachts stark ist. Dazu möchten wir höflich anmerken, dass Kinder laut Studien wie dieser erst mit circa 14 Jahren ihre Fähigkeiten, richtig und damit annähernd sicher am Verkehr teilzunehmen, ausgebildet haben. Zu Ihrer freundlichen Erinnerung: Unsere Nr. 4 ist 6 Jahre alt. Und damit nicht genug: Wir reden hier von Hamburger Straßen, die in den vergangenen Jahren zu traurigem Ruhm kamen, weil dort mehrere erwachsene Fahrradfahrer verletzt und sogar getötet wurden. Zwei bekannte Unfallstellen würde unser Kind täglich passieren müssen.
Wir kennen unser Kind selbstverständlich besser als Sie. Wir als Eltern wissen, dass es ein fröhliches, neugieriges und mitunter auch übermutiges Kind ist. Als Eltern würden wir unser Kind während der gesamten Grundschulzeit NIEMALS seinen Schulweg alleine gehen oder mit dem Rad fahren lassen.
NIEMALS.
Und weil wir als Eltern das leibliche Wohl und das Lernwohl unseres Kindes über alles stellen, bringen Sie, sehr geehrte Damen und Herren der Hamburger Schulbehörde, unsere Familie jetzt in eine Situation, die wir nicht mehr meistern können.
Was tun, wenn der Schulweg unzumutbar ist?
Wir führen das gerne kurz aus: Der Vater begibt sich früh zur Arbeit. Er ist so früh aus dem Haus, dass er keinem Kind einen “Guten Morgen!” wünschen kann. Als #motherof4 ist es an mir, die Kinder morgens zu wecken, zu versorgen und auf den Schulweg zu bringen. Dabei braucht das depressive Kind intensivere Begleitung als die Geschwister – und das meine ich wörtlich: Ich muss häufig auf dem Weg zur Schule an seiner Seite sein.
Bislang wird Nr. 4 entweder von mir zur Vorschule in unserer Wunschgrundschule gebracht oder das Kind geht mit einem seiner Geschwister dorthin. Zu Fuß, mit dem Roller oder dem Fahrrad. Die Schulen sind von Schultür bis Schultür keine 80 Meter voneinander entfernt. Die Grundschule liegt direkt auf dem Weg zur weiterführenden Schule der Großen. Nr. 4 kennt den Weg von daheim zu seiner Schule längst auswendig, ist sich im Rahmen der altersbedingten Fähigkeiten der drei Ampeln unterwegs bewusst und könnte diesen Weg wie die älteren Geschwister vor ihm sicher bald alleine zurücklegen.
Das wäre bei der Ihrerseits zugewiesenen Grundschule unmöglich.
Soll das Kind dort pünktlich ankommen, müsste ein Erwachsener mit ihm aus dem Haus gehen, lange bevor die drei älteren Geschwister überhaupt aufstehen. Das ist keine Option für unsere Familie. Wir werden unsere drei größeren Kinder morgens nicht sich selbst überlassen.
NIEMALS!
Zur Erinnerung: Eins davon leidet (und leiden heißt buchstäblich l-e-i-d-e-n) an einer klinisch diagnostizierten Depression. Es braucht eine Medikation, die wir dem Kind nicht alleine überlassen wollen.Und hatten wir es schon erwähnt? Ein anderes Kind von uns leidet an einer ebenfalls diagnostizierten und engmaschig ärztlich betreuten, schweren Allergie. Dieses muss morgens nach akutem Befinden Medikamente schlucken, um besser atmen zu können. Die Medikation muss ein Erwachsener beaufsichtigen.
Was bleibt uns als Familie mit ihrem von Schulamts wegen “altersangemessenen Schulweg” zu tun übrig?
Würden wir die großen Schulkinder bedarfsgerecht betreuen, käme unsere Nr. 4 jeden Schultag zu spät zur Schule. Jeden. Schultag.
Oder wie wäre das? Wir könnten die Polizei oder die Feuerwehr – deine Freunde und Helfer – allmorgendlich um Hilfe bitten. Nr. 4 wäre davon sicher begeistert. Wer kommt schon jeden Morgen mit Blaulicht und Tatütata in die Schule?
Auch diese Frage sorgt uns: Was wäre, wenn eins der größeren Kinder krank wird und betreut werden müsste? Oder wenn ich als Mutter einmal auf Dienstreise müsste (keine umgewöhnliche Sache bei einer Journalistin) oder krank werden würde? Wer brächte dann unser Kind sicher zur Schule?
Oder verlangen Sie, dass der Vater seinen Job kündigt, damit einer von uns das Kind jeden Morgen zur Schule begleiten kann, denn ein Erwachsener wird wie beschrieben zwingend daheim gebraucht! Dann fehlte uns allerdings ein Teil unseres familiären Einkommens. Kämen Sie dafür auf?
Das ist alles andere als lustig. Das ist für unsere Familie unzumutbar!
Weil Sie als Hamburger Schulbehörde unserem Kind diesen unzumutbar weiten und gefährlichen Schulweg in ein anderes Viertel zumuten, hat es keine Nachbarskinder, die es dorthin mitnehmen könnten. Bislang wohnt sein “Pate”, ein Drittklässler”, im Haus. Solche in der Not hilfreichen Netzwerkstrukturen gäbe es künftig nicht mehr. Weder zum Bringen des Kindes in die Schule noch zum Abholen.
Ach, darüber haben wir ja noch gar nicht geredet! Bislang springt im Notfall beim Abholen nämlich die Oma ein, die um die Ecke der jetzigen Vorschule arbeitet. Auch sie fiele als Familienhilfe komplett aus, müsste unser Kind auf die ihm von Ihnen zugewiesene Schule. Zudem gilt aktuell die Verabredung, dass unsere liebe Vorschullehrerin im Notfall (angenommen: ich bin krank) unsere Nr. 4 nach der Vorschule bis zur Straßenecke brächte, von der aus das Kind – unter meiner Aufsicht von daheim aus – alleine nach Hause kommen könnte. Oder aber jemand brächte das Kind zum Schulsekretariat des Gymnasiums, wo eins der älteren Geschwister es sicher in Empfang nähme. Beziehungsweise würde es von einem Geschwisterkind abgeholt.
Alles egal?
Uns nicht!
Und deshalb wenden wir uns auf diesem Weg an Sie, die Hamburger Schulbehörde. Denn Sie reißen unser Kind aus seiner ihm vertrauten Umgebung und schicken es auf einen ganz und gar nicht seinem Alter angemessenen Weg in die Schule.
Sie zerreißen damit unsere Familie!
Sie zerfetzen die Stränge unseres jahrelang gewobenen sozialen Netzes, unseres doppelten Bodens sozusagen, ohne den unsere Familie aufgeschmissen ist.
Klingt dramatisch? Ist dramatisch!
Ihr Bescheid schüttelt am Urvertrauen unseres Kindes in uns, seine Eltern, seine Familie, seine Welt. Wir lügen, wenn wir ihm sagen, dass alles gut wird. Sie zerstören seine Freude auf die Schule. Sie berauben es seiner Freunde. Sie brechen damit Motivation. Sie nehmen unserem Kind von vornherein die Möglichkeit, eines Tages voller Stolz seinen Schulweg alleine zurückzulegen. Als Eltern von drei älteren Kindern wissen wir, wie wichtig dieser Moment im Leben eines Grundschülers ist.
Dazu wollen wir gerne auch anführen, dass wir gemäß der Hamburger Schulpolitik immer alles darangesetzt haben, und gerne noch weiter setzen würden, dass unsere Kinder “ohne Elterntaxi” sicher zur Schule kamen und kommen. Das verhindern Sie jetzt.
Nach Telefonaten mit den Schulen, der Wunschschule wie der zugewiesenen, wissen wir inzwischen, dass knapp 40 Kinder von unserer Wunschschule abgelehnt worden sind.
Kinder wie unsere Nr. 4.
Kinder, die vielleicht genauso weinend zusammenbrachen wie unseres, als es die Nachricht von der Ablehnung seiner Grundschule bekam und verstand, was diese bedeutet. Die an der Nachricht zerbrochene Kinderseele zu besänftigen, das überlassen Sie uns Eltern. Herzlichen Dank dafür! Nicht.
Was wir für unser Kind tun werden
Wir werden wie in der Rechtsbehelfsbelehrung von Ihnen vorgeschlagen, Widerspruch gegen Ihre Schulplatzzuweisung einlegen. Sogar mit Hilfe eines Rechtsanwaltes. Der so manchen der Groschen als Honorar verlangt, die wir für Notzeiten wie die Corona-Krise zur Seite gelegt haben. Wir gehen diesen Weg mit teurem Rechtsbeistand dennoch, weil wir in großer Sorge darüber sind, dass unsere familiären Gründe für den Widerspruch vor dem Gesetz ein anderes Gewicht haben als in unserem Leben. Deshalb lassen wir das Ganze einen Fachmann machen. Denn vor dem Gesetzt zählen unseres inzwischen angelesenen und angeratenen Wissens nach zuerst Geschwisterkinder, dann die Wegmeter und bei gleicher Meterzahl schließlich der eventuelle Besuch der Vorschule im Haus. Leider sind die Kinder vor dem Gesetz nur eine Zahl – unseres hat wahrscheinlich die Nummer 765.
Doch unsere 765 Meter Schulweg, die 2020 erstmals wohl zu weit weg sind, als dass unser Kind unter derzeitigen Bedingungen einen Platz an seiner Grundschule bekäme, sind eben nicht nur eine reine Maßangabe. Sie sind Teil unseres Familienlebens, das wir nach bestem Wissen und Gewissen leben. 765 Meter sind Lebensweg. Selbstbestimmt. Selbstfinanziert. Unser Kind ist keine Nummer.
Was werden Sie für unser Kind tun, sehr geehrte Hamburger Schulbehörde?
Wir haben seit Jahren in unserem Viertel wachsende Zahlen bei den Erstklässlern. Als zuständige Hamburger Behörde haben Sie das selbstverständlich im Auge. Sie haben deshalb Vorkehrungen getroffen. Und neue Grundschulen eröffnet. Großartig. Das ist vorausschauend und bedarfsgerecht. Unseren Bedarf an einem zumutbaren Schulweg sind Sie damit nicht nachgekommen. Wir haben unsere Grundschule mit großem Bedacht ausgewählt.
Und wir wählen die unserem Kind von Ihnen zugewiesene Schule wegen des unzumutbaren Weges hiermit ab!
Wir hoffen, dass Sie jetzt die für uns einzig zumutbare Lösung finden, um unserer Nr. 4 einen Platz an seiner und unserer Wunschschule zu schaffen.
Wir wollen keinem Kind seinen Platz dort streitig machen.
Wir wünschen uns für unser Kind einfach nur, dass es seinen sicheren, ihm zumutbaren “Bildungsweg” auch künftig beschreiten kann. Wie gehabt.
Bitte handeln Sie jetzt! Machen Sie Platz für unsere Nr. 4 (Ihre Nr. 765) an unserer Grundschule!
Wir sind gespannt auf Ihre Antwort!
Mit freundlichen Grüßen,
Doreen Brumme und Familie
Fotos: Doreen Brumme
Ich habe den Text erst jetzt gelesen und verstehe das Ansinnen nicht so ganz. Allen, die auch über Google hierher kommen sei dieser Tipp gegeben, der allen Beteiligten mehr hilft, als ein Offener Brief im Anschluss des Verfahrens: Für solche Fälle gibt es einen Härtefall-Antrag, den man mit der Anmeldung stellen kann und unbedingt muss. Ob das ein Härtefall ist, entscheidet übrigens allein die Schulleitung und die gibt die Empfehlung an die Schulbehörde weiter, die sich daran hält. Da die Familie einen guten Draht zur Schule hat, wäre der vermutlich also erfolgreich gewesen. Woher soll die Schulbehörde die persönliche Situation kennen? Ein anderes Kind, das näher dran wohnt, müsste dann in die weiter entlegene Schule, für das Kind wäre es dann aber evtl. weniger problematisch.