Als #motherof4 bin ich mit Vollzeitjob, Familie und Haushalt mehr als voll beschäftigt. Blicke ich auf die vergangenen 16 Jahre Mutterschaft zurück, in denen ich mehr als 8 Jahre gestillt habe, dann war da wenig Zeit für mich. Und damit meine ich Zeit, die ich ohne für Auftraggeber oder die Familie zu arbeiten, verbracht habe. “Me-time”, in der ich nur für mich “arbeitete”, gab es jahrelang nicht wirklich. Das ist inzwischen anders: Denn im Sommer 2018 habe ich mir “meine Zeit” endlich genommen und das war eine der besten Entscheidungen, die ich je getroffen habe. “Hajime!” (auf Deutsch: “Anfang”) – ich habe mir einen Kindheitstraum erfüllt und mit fast 47 Jahren mit Karate angefangen.
me-time schenkt dir kaum einer! Die musst du dir schon nehmen!
Mit der wachsenden Zahl der Kinder und der daraus resultierenden Belastung durch Schwangerschaft, Stillzeit und Alltag merkte ich mit Mitte 40, dass ich etwas ändern musste. Morgens nach einer normalen Stillnacht mit drei, vier Stillmahlzeiten fühlte ich mich gerädert und kam erst nach einer ausgiebigen, heißen Dusche in die Gänge. Ich war tagsüber schnell müde und gereizt und fühlte mich antriebslos. Viele Alltagshandgriffe liefen mechanisch. Ich war leer und aufgebraucht. Und mein Körper schmerzte.
Mein Gewicht hatte ich dank meines intermittierenden Fastens schon eine Weile recht gut im Griff, so, dass ich #leichterunterwegs war und mich wohl fühlte. Ich aß gesund. Es lag also nicht am Auftanken beziehungsweise Brennstoff, dass meine Akkus ständig zu schnell leer waren.
Ich erkannte: Ich brauchte Bewegung. Regelmäßige Bewegung. Richtige Bewegung. Und das sofort. Bisher war ich immer für alle anderen dagewesen, hatte meine Bedürfnisse hintenan gestellt. Habe mich mit und für dei anderen bewegt. Das war ok. Lange Zeit. Aber jetzt nicht mehr. Meine Schmerzgrenze war erreicht. Das Blöde war nur, dass, wenn frau wie ich, vier Kinder voll ausgetragen und natürlich auf die Welt gepresst hat, einen recht labbrigen Beckenboden hat. Und wegen dem fielen so manche Sportarten, die ich gerne gemacht hätte, flach. Joggen zum Beispiel ging gar nicht mehr. Denn, wenn du mit einem labbrigen Beckenboden läufst, läufste buchstäblich aus. Und wer läuft schon gerne mit Windel? Ähnlich erging es mir auch beim Versuch, zu schwimmen. Kurz: Ich brauchte einen Sport ohne körperlichen Aufprall, einen Sport, bei dem ich nicht ständig hüpfen und springen müsste. Das wäre zuviel für meinen Beckenboden.
“Es ist nie zu spät für Karate.”
Doreen Brumme, #motherof4, Karateanfängerin mit fast 47
Und dann meldete sich ein Kindheitstraum aus den Tiefen der Vergangenheit. KARATE. Das wollte ich als Kind schon lernen. Doch in der Kleinstadt, in der ich aufwuchs, gab’s dazu keine Gelegenheit. Stattdessen hatte ich eine paramilitärische Ausbildung absolviert und schießen (ich habe das “Goldene Schießabzeichen”), Handgranaten-Zielwurf und mehr gelernt. Karate blieb ein Traum.
We are Kampfsport-Family!
Und plötzlich fügte sich zusammen, was zusammen gehört: Mein Mann ist Karatemeister, also Träger des Schwarzgurts (1. Dan). Er hat als Karateka eine Sportlerkarriere hingelegt, Nationaltitel errungen, in der Nationalmannschaft trainiert und gekämpft, auch wenn diese Zeiten inzwischen mehr als 25 Jahre zurücklagen. Trotz ruhendem Karate hatte er unsere Nr. 1 und 2 von klein auf darin bestärkt, einen Kampfsport zu betreiben. Mit 5 und 3 Jahren haben die Beiden begonnen, Judo zu machen. Nr. 3 hatte im Jahr 2017 mit 11 Jahren dann keine Lust mehr auf den beim Judo typischen, intensiven Körperkontakt und wechselte zu Karate. Und ging in diesem Sport auf. Sehr zum Stolz seines Vaters, der sich darin auch selbst sah. Nr. 3 war bis dahin Ballerina und entschied sich, ihren großen Bruder zum Karate zu begleiten. Nr. 1 blieb beim Judo, wo sie inzwischen eine Trainer-Assistenzausbildung absolvierte und jüngere Judoka und solche mit einer Behinderung trainiert. Und so ihren ersten Moneyjob ausübt.
Damit hatten wir zum Zeitpunkt meiner Entscheidung für Karate also schon vier Kampfsportler in der Familie. Denn selbst ruhende Aktivität ändert nicht an: Einmal Karateka, immer Karateka. Und nahezu täglich wurden trotz kleinstem Raum in unserer 3wie2-Zimmerwohnung mit gerade mal 67 Quadratmetern Kampfsportbewegungen trainiert. Das bestärkte mein Verlangen. Im Januar 2019 stieß dann sogar auch Nr. 6 zu den Karateka unseres Sportvereins, und auch mein Mann nahm das aktive Training wieder auf. Damit waren und sind wir in unserem Verein wohl die Kampfsportfamilie schlechthin: 1 Judoka, 5 Karateka – das macht mich/uns auch echt stolz.
Mein Schritt, mich als Frau, als #motherof4 und karatetechnisch vollkommen unwissend mit fast 47 auf die Matte im Dojo zu bewegen, fiel mir nicht leicht. Ich folgte zwar einem starken Drang, resultierend aus jahrzehntelang mehr oder weniger gehegtem Traum und einem festen Willen, etwas für mich zu tun, was Kopf, Körper und Seele nährt, hatte aber auch jede Menge Hemmungen.Die waren sogar so krass, dass ich beim ersten Mal vor der Turnhalle umdrehte und unverrichteter Dinge wieder nach Hause ging. Eine Kurzschlusshandlung, die ich sofort bereute und mit meinem ersten Trainingsbesuch sieben Tage später korrigierte.
Die Hemmungen kamen nicht von ungefähr: Ich war halt nie die große Sportlerin … Doch so ein Breitensport hat ja den Vorteil, dass die Trainierenden bunt gemischt sind, sowohl, was das Geschlecht als auch das Alter und das Können betrifft. Schon beim ersten Besuch, noch in schwarzem Trainingszivil, traf ich auf ein, zwei Frauen, mit denen ich mich schnell gut verstand. Und so ging ich anfangs einmal die Woche hin und hatte echte, tief empfundene Freude daran. Mir war nach dem ersten Training schon klar, dass ich das Karate lernen wollte. Und zwar so richtig. Zum dritten Training stand ich schon in Weiß auf der Matte – im Anzug meines Mannes, der 28 Jahre auf seinen Wiedereinsatz gewartet hatte, davon mindestens 25 in einer gut behüteten Kiste im Keller. Nach zwei Monaten ging ich schon zwei und mitunter auch drei Mal die Woche für eineinhalb Stunden zum Karate.Ich habe mehrere Wochenendlehrgänge besucht, mit teils legendären Karatemeistern unserer Zeit.
Ich hatte mein Ding gefunden. Karate ist meine Auszeit, meine me-time – in der ich schwitze wie nie zuvor in meinem Leben. Was ich am Karate auch sehr mag, ist, dass ich dort mal so richtig draufhauen (auf den Sandsack) und schreien darf. Gleichwohl mich mein Kampfschrei einiges an Überwindung kostetete. Ist frau halt nicht wirklich gewohnt, so ein Kampfgeschrei. Aber beim Karate ist der Kampfschrei nicht nur erwünscht, sondern gefordert. Und inzwischen kann ich Kampfschrei.
#motherof4 – vom Leben gezeichnet = vom Karate gezeichnet
Meine Muskeln entwickelten sich in den gut zwei Jahren, die ich jetzt schon Karate mache. Mein Gleichgewicht auch, ebenso meine Kondition, meine Ausdauer. Ich bin vielleicht kein Stern am Karatehimmel, aber hey, ich bin zufrieden. Ganz ehrlich: Ich bin zutiefst befriedigt. Denn: Ich habe keine Rückenschmerzen und bei regelmäßig zwei Trainings zwei Mal die Woche auch keinen Muskelkater mehr. Arme und Beine sind viel fester als früher. Ich kann Dinge, die ich nie gwagt hätte, zu probieren, und gehe mit einer ganz neuen Körperhaltung durchs Leben. Aufgerichteter, gerader, fester.
Aaaah, Gürtelprüfungen: Wat mutt, dat Mutti!
Wer regelmäßig Karate macht, der entwickelt sich. Ich sicher langsamer und auf niederem Niveau als meine Kinder, aber ich mache Fortschritte. Und ich gebe zu, ich bin im Karate ehrgeizig wie sonst im Leben auch. Und so habe ich den festen Willen, meine Entwicklung auch prüfen und mit einem entsprechenden Farbgürtel belohnen zu lassen. Meiner ersten Karateprüfung zitterte ich regelrecht entgegen. Es war, als wäre ich wieder 14, 15 und sollte vor den Augen der Mitschüler über die Hochsprungstange springen oder die Kletterstange erklimmen (beides gelang mir damals in der Schulzeit nur mittelmäßig).
Ich wusste zwar, ich hatte nach besten Kräften trainiert. Hart trainiert. Ich war immer zum Training gegangen. Und ich redete mir ein, dass mein Prüfer, mit sechsfachem Schwarzgurt unser höchster Dan-Träger im Verein, das sicher honorieren würde. Zugleich sagte ich mir, Doreen, du hast schon ganz andere Dinge gewuppt! Du hast vier Kinder auf diese Welt gedrückt! Vier! Aber all die innere Motivation half wenig, als ich dann wegen meines Anfänger-Karateniveaus auch noch als erste Prüfline auf die Matte musste. Allein, vor den Augen der anderen Farbgurte und des Prüfers, den ich bis dahin nur vom Hörensagen kannte. Und das, was ich gehört hatte, ließ meine Knie schlackern. Streng sollte er sein. Kaum zufrieden zu stellend. Alle Fehler sehend. Dem konnte ich gerade kaum Gutes abgewinnen, mich ließ das Gerede aus der Umkleide absolut nicht kalt.
Ich fragte mich, warum ich mir das gerade antat.
Doch die Prüfungssituation gehört zum Karate dazu. Wat mutt, dat mutt – sagen wir hier in Hamburg. Und dann waren meine paar Kihon- und Kata-Sekunden sowie Partnerübungssekunden auch schon um, ich hatte mich so gut ich konnte geschlagen. Und es hatte gereicht. Ich bekam den Gelbgurt (8. Kyu), meinen ersten Farbgurt. Ein halbes Jahr später machte ich die Prüfung zum Orangegurt (7. Kyu) und im Dezember 2019 zum Grüngurt (6. Kyu).
Ich bin so stolz auf mich und grinse beim Schreiben dessen hier gerade von Ohr zu Ohr.
Die Liegestütze, Bauchaufzüge und anderen Kraftübungen zähle ich inzwischen in Zehnereinheiten auf Japanisch und Kampfsportfilme schaue ich mit ganz neuem Wissen um die Kampfkunst. Ich kann Schläge und Tritte identifizieren! Namentlich benennen!
Corona-Lockdown: Nerven behalten dank täglichem Karatetraining
Den Corona-Lockdown und das im Zuge dessen selbst auferlegten social-distance-Dingens im Frühjahr und Frühsommer des Jahres 2020 haben wir als #coronaeltern und #coronafamilie nur durchgestanden, weil wir jeden Tag zuhause Karate trainiert haben. Mein Mann trainierte uns 5 Karateka auf kleinstem Raum im Wohnzimmer und Jungszimmer, die Judoka hielt sich mit Fitness und Ausdauerlauf auf dem Laufband fit, das wir anderen aber auch nutzten. Der Kampfsport SCHWEISSte unsere Familie in dieser Zeit zusammen, er half uns, die Laune zu behalten, in der Wohnung genug Bewegung zu bekommen. Ich machte in dieser Zeit sogar Fortschritte, die bei Wiederaufnahme des Trainings im Dojo auffielen.
Mich und meine Nerven hielt das Karate zusammen. Zwischen Vollzeit-Job, der nach wie vor im Home-Office lief und neben den üblichen Aufträgen auch das Schreiben meines ersten Buches umfasste, und Home-Beschooling von 3 Gymnasiasten und einem Vorschüler, der Suche nach einem Schulplatz mit zumutbarem Schulweg für Nr. 4, dem Alltag in Corona-Time und den Sorgen, die diese mit sich brachte, hat mich Karate über Wasser gehalten.
Meine 10 wichtigsten Erkenntnisse aus diesem me-time-Karate-Prozess:
- Es ist nie zu spät, Träume zu verwirklichen.
- Es ist nie zu spät für Karate.
- Auch mit fast 47 kannst du als #motherof4 mit Karate anfangen und so deinen Körper und Geist verändern.
- Ich kann Liegestütze, Bauchaufzüge und choreografierte Bewegunsabläufe besser als früher.
- Ich kann kämpfen.
- Ich kann abwehren, fallen, aufstehen und angreifen.
- Ich bin nicht wehrlos.
- Regelmäßiger Sport bringt mir eine bessere Haltung und hält mich in wackeligen Zeiten aufrecht.
- Ich kann kampfschreien.
- Ich habe Spaß am Karate – ich habe meinen Sport gefunden.
Hajime! Karate!
Eure Doreen
Grafik und Fotos: Doreen Brumme
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